Jedes Jahr am 29. November markieren die Vereinten Nationen den „Internationalen Tag der Solidarität mit dem palästinensischen Volk“. Sie wollen damit die palästinensischen Flüchtlinge des israelischen Unabhängigkeitskriegs 1948/49 bedenken – «die Nakba» –, «vergessen» aber, dass im gleichen Zeitraum eine noch grössere Zahl Juden aus arabischen Ländern vertrieben und zu Flüchtlingen wurde.
In der heutigen Jerusalem Post weist die Autorin Lian Collins in einem Kommentar auf diesen Missstand hin: Der jährliche „Internationale Tag der Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ der Vereinten Nationen weise eine extreme Einseitigkeit auf.
Der Tag ist – aus Perfidität? – genau auf den Jahrestag gelegt, an dem die UNO 1947 den Teilungsplan für Palästina verabschiedete und damit den Weg zur Gründung des Staates Israel ebnete. So solidarisiert man sich mit dem Nakba- und Opfer-Narrativ der Palästinenser, missachtet aber gleichzeitig einen zentralen Meilenstein auf dem jüdischen Weg zur Selbstbestimmung und Sicherheit.
Während Staaten und Organisationen weltweit Solidaritätsbekundungen für die Palästinenser veröffentlichen, wird ein wesentliches Kapitel jüdischer Geschichte systematisch ausgeblendet: die Vertreibung und Enteignung von über 800’000 Juden aus arabischen und muslimischen Ländern im 20. Jahrhundert.
Selektives Geschichtsnarrativ
Collins zeigt auf, dass die offizielle UN-Erzählung einen klaren Fokus hat: Sie thematisiert ausschliesslich das palästinensische Leid und vernachlässigt vollständig, was jüdischen Gemeinschaften in Ländern wie Irak, Ägypten, Libyen, Syrien, Jemen oder Marokko widerfuhr. Sie spricht von einem „kollektiven Trauma“, das im internationalen Diskurs praktisch unsichtbar sei, obwohl ganze jüdische Gemeinden – viele von ihnen jahrtausendealt – innerhalb weniger Jahre ausgelöscht, terrorisiert oder zur Flucht gezwungen wurden. Diesen blinden Fleck bezeichnet die Autorin als „erinnerungspolitisches Versagen“, das bis in moderne Schulbücher, Menschenrechtsberichte und staatliche Gedenkinitiativen hineinreiche.
Verzerrtes Konfliktbild
Diese selektive Erinnerungspolitik führt zu einem verzerrten Bild des Nahostkonflikts. In der internationalen Öffentlichkeit entstehe der Eindruck, die Geschichte des Konflikts bestehe einzig aus palästinensischem Verlust und jüdischer Macht. Die Realität sei jedoch deutlich komplexer: Ein grosser Teil der heutigen israelischen Bevölkerung stamme selbst aus Familien, die unter Verfolgung und Enteignung in der arabischen Welt litten. Dieser Kontext fehle vollständig in den UNO-Verlautbarungen, was laut Collins dazu beiträgt, Israel in der globalen Debatte als „koloniale Gründung“ zu etikettieren – ein Narrativ, das mit der historischen Massenflucht jüdischer Gemeinden schlicht unvereinbar sei.
Schlussfolgerung
Collins fordert, dass der Westen und insbesondere internationale Organisationen endlich beginnen sollten, beide historischen Flüchtlingsbewegungen sichtbar zu machen. Es gehe nicht darum, palästinensisches Leid zu relativieren, sondern darum, dem moralischen und historischen Anspruch auf Gerechtigkeit beider Seiten gerecht zu werden. Eine ausgewogene Erinnerungspolitik wäre dafür ein notwendiger Schritt.
MIFF hält Collins’ Hinweis auf diesen verdrängten Teil der Geschichte für bedeutsam. Die Wahrnehmung des Nahostkonflikts hängt in höchstem Masse davon ab, wie der Konfliktnarrativ überliefert wird, welche Kapitel der Vergangenheit erzählt werden – und welche nicht.


